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Gesundheit und Veränderung

Inhalt

  1. Einführung
  2. Der Anfang für Veränderung liegt in uns selbst
  3. Glaubenssätze
  4. Neuronale Verknüpfungen
  5. Intrinsische Motivation
  6. Neuroplastizität
  7. Plus und Minus
  8. Gewohnheit
  9. Ganzheitlichkeit
  10. Emotionen im Business
  11. Sport
  12. Sach- und Beziehungsebenen
  13. Gesundheit und Krankheit
  14. Start und Ziel
  15. Krankheit im Fokus
  16. Betriebliche Gesundheitsförderung
  17. New Work
  18. Selbstreflexion
  19. Psychische Belastungsgefährdungen
  20. Kundenansprüche
  21. Unternehmenskultur
  22. Fazit
  23. Danke
  24. Literaturverzeichnis

 

Einführung

Als BGM Fachkraft, Diplomsportlehrerin, Coach und Entspannungstrainerin beschäftige ich mich schon seit Jahren mit dem Thema Gesundheit und Gesunderhaltung und nutze meine „Corona – Auszeit“ dazu, mein Wissen und meine Erfahrungen zu diesem Thema niederzuschreiben.

Es existieren viele Perspektiven und Einflussfaktoren, wenn es um das Thema Gesundheit geht. Von daher kann hier nur ein Teil der komplexen Themenlandschaft Beachtung finden.

Eine Bemerkung möchte ich aber aus Überzeugung heraus vorwegnehmen: Veränderung ist schwer! Verdammt schwer, da es heißt, den bekannten „inneren Schweinehund“ überwinden zu müssen, eines der trägsten Tiere weltweit überhaupt.

Der Anfang für Veränderung liegt in uns selbst

Aus der Praxis heraus kann ich Ihnen versichern, dass sich Menschen in der Regel nicht einfach in ihre konstruierten Wirklichkeiten reinreden lassen. Sonst könnte man auch leicht in individuelle Lebensstile eingreifen. Dann würde allein schon die Aufforderung ausreichen, sich doch mal mehr zu bewegen. Schließlich ist es längst erwiesen, dass schon kleine Erholungspausen, moderate Bewegung, Ausgleichsübungen und Entspannungsmaßnahmen die Anzahl der Erkrankungen – sei es muskulär, organisch oder psychosomatisch – um ein Vielfaches senken würde. Menschen lassen es aber nicht zu, wenn man eine Welt über ihre Welt stülpen möchte. Das lässt sich niemand gefallen. Und so kann Veränderung immer nur einen Anfang haben – dieser Anfang liegt bei uns selbst!

Glaubenssätze

Sportler wissen, wie schwer es ist umzulernen, oder ein tief verankertes Bewegungsmuster zu verändern. Aber es ist möglich, und zwar ein Leben lang. So sagt es zumindest der Hirnforscher Gerald Hüther. Er ist der Meinung, dass das menschliche Gehirn aufgrund seiner Neuroplastizität zeitlebens dazu in der Lage ist, Denk- und Verhaltensmuster, Grundüberzeugungen und sogar Gefühlsstrukturen zu lockern, zu überformen oder umzugestalten (Hüther, 2009). Diese Aussage beinhaltet, dass viele alte Denkmuster (wie z. B. der alte Glaubenssatz „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr) in Frage gestellt werden dürfen oder zumindest etwas von ihrer Macht verlören, so wie viele andere Glaubensmuster auch.

Neuronale Verknüpfungen

Wissenschaftler haben auch festgestellt, dass alles, was an neuronalen Verknüpfungen nicht benutzt wird, verkümmert. “Use it or loose it” bringt diese Abbauprozesse sehr schön auf den Punkt. Auf der anderen Seite ist es unglaublich schwer, Neuronen und Synapsen zu reaktivieren, wenn sie unbenutzt oder beschädigt sind. Therapeuten*innen, die mit Apoplex Patienten (Schlaganfall) arbeiten, wissen von diesen Schwierigkeiten. Es kann sehr mühevoll sein, neue neuronale Verbindungen zu knüpfen.

Intrinsische Motivation

Neben den Umständen und den persönlichen Herausforderungen, die ein Vorhaben für jemanden bedeuten, spielen ebenso Wille, Verstehbarkeit und Sinnhaftigkeit eine immens große Rolle, wie motiviert wir uns fühlen. Verhaltensänderung ist somit erfolgversprechender, wenn die Person, die eine Veränderung anstrebt, dies selbst möchte, also intrinsisch motiviert ist, und sich zudem noch selbstwirksam wahrnimmt (Göhner, 2007). Damit ist gemeint, das dass, was wir tun, um ein Ziel zu erreichen, auch seine beabsichtigte Wirkung zeigt. Ansonsten verliert man die Lust etwas zu tun.

Neuroplastizität

Ein weiterer, wichtiger Einflussfaktor, bezogen auf Verhaltensänderungen, ist die Hebb´sche Regel: “Neurons that fire together wire together.” Das bedeutet, dass Neurone, die schon oft miteinander verschaltet gewesen sind, einen gut gebahnten, neuronalen Kreislauf darstellen (Grawe, 2004, Seite 31 ff.). Lehrer*innen, Ausbilder*innen und Trainer*Innen wissen, wovon ich spreche. Gemeint sind das Üben, Trainieren und Wiederholen von Abläufen, Prozessen und Handlungen, um diese zu automatisieren. Der Motivationssatz: „Übung macht den Meister“ gilt also nach wie vor. Und wenn dann noch Lust und Spaß hinzukommen, steht dem Erfolg nichts mehr im Weg.

Gut gebahnte neuronale Verbindungen sind demnach von zwei Seiten zu betrachten:

  1. Sie sind gut, weil sie bekannte, gut einschätzbare, automatisierte und somit sichere Strukturen liefern. Wir fühlen uns sicher und haben ein Gefühl von Kontrolle. Sind wir im Auto-Modus, haben wir Kapazitäten für andere Dinge frei.
  1. Wenig benutzte neuronale Verknüpfungen werden aufgrund der automatischen Dominanz nicht aktiviert, und so kommt es zu Einseitigkeiten, starren Strukturen und zur weiteren Festigung des alten Musters.

Plus und Minus

Die Richtung unseres Denkens ist in der Regel genetisch bedingt und auf Überlebensstrategien ausgerichtet. Menschen sind somit eher auf „Negatives“ ausgerichtet, um zu verhindern, dass ihnen etwas „Schlimmes“ widerfährt.

„Wir müssen wissen, wo der Löwe steht und nicht, wo die Rose blüht!“ (Schiebel, 2017) Dieser Satz ist mir aus meiner Fortbildung zum Coach besonders in Erinnerung geblieben. Auch hier wird deutlich, dass Menschen grundsätzlich eher darauf ausgelegt sind, Umstände wahrzunehmen, die ihnen schaden. Das Reagieren auf Bedrohliches ist in uns verankert. Das ist der sprichwörtliche Überlebensmechanismus. Entsprechend eng gestaltet sich auch unser Verhaltensrepertoire. Denken und Handeln kreisen immer wieder um die gleichen Themen. Bestimmte neuronale Verknüpfungen setzen sich durch und werden strukturell verfestigt. Wir werden unfrei, im Verhalten und im Denken, und zeigen automatisierte Handlungs- und Denkmuster. Es stellt sich die Frage, wieviel Bewusstsein in unserem „Alltagsgeschäft“ vorhanden ist: Worauf lenken wir unseren Blick? Oder sollte ich sagen, worauf wird unser Blick gelenkt? Und: Wie frei ist der Mensch?

Gewohnheit

Aus Untersuchungen des US- amerikanischen Physiologen Benjamin Libet ist bekannt, dass Potentiale im Gehirn schon 350 Millisekunden, bevor wir uns zu einer Bewegung entschließen, messbar sind. Wir sind demnach sehr unfrei und sehr automatisiert. Man spricht von 10% – 20% freien Willens beim Menschen, und auch das nur, wenn dieser sehr gut selbstreflektiert ist!

Dinge, auf die wir im Alltag häufig stoßen, ziehen unseren Blick an – und so priorisieren wir schließlich unsere Gedankenwelt. Und wenn wir dann – in unserem Tun, unseren Gedankenmustern, unserer Umwelt – gut ausgerichtet sind, wird es immer schwieriger, den Fokus zu ändern oder aus dem sogenannten Autopiloten herauszutreten. Gewohnheit macht sich breit! Verhalten bestimmt unser Denken, und unsere Gedanken beeinflussen unsere Gefühle, die sich wiederum auf der körperlichen Ebene widerspiegeln. So beeinflusst Eins das Andere. Dabei spielen Werte, Motive und Glaubenssätze genauso eine Rolle wie Persönlichkeit, Identität und Charakter. Und natürlich die neuronale Plastizität, also wie intensiv diese Parameter im Gehirn verfestigt sind. Ein Beispiel soll diesen Prozess verdeutlichen: Geht ein Jäger in den Wald, wird er vermutlich intensiver auf das Wild und das Fleisch achten als der Förster, der eher Flora und Baumbestand wahrnimmt. Ein kleines Kind dagegen ist jedoch anfangs noch frei in seinem Blick. Recht schnell prägt dann aber seine Umwelt, worauf der Fokus sich zu richten hat und worauf nicht. Hier nochmal zur Erinnerung, wir sind ein Leben lang dazu in der Lage, Verhaltensmuster und Denkstrukturen umzugestalten oder zu überformen.

Ganzheitlichkeit

Weitere Gründe für einseitiges Schauen liegen zum einen in unserer immer noch sehr männlich geprägten Weltanschauung, zum anderen in dem Ausmaß der Prägungen, Glaubenssätze und Antreiber, die wir in unserer Umwelt erfahren haben. Beides ist häufig eng miteinander verwoben. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“, „Stell dich nicht so an!“, „Ein Indianer kennt keinen Schmerz.“, „Sei nicht so vorlaut!“, bis hin zu erwarteten Strafen und Kränkungen, wenn man sich nicht wie gewünscht verhält. Unsere Gedankenwelt, unsere Erwartungen und unsere Vorbilder haben Auswirkungen auf unser Verhalten und andersherum: Unser Verhalten hat Auswirkungen auf unsere Gedankenwelt. Diese Mechanismen sind untrennbar miteinander verknüpft, allerdings werden im Businessbereich Körper und Gefühlen weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt als dem Verhalten und den Gedanken. Meiner Meinung nach haben Körper und Gefühl in der Arbeitswelt noch großen Entwicklungsbedarf, um gleichberechtigt neben Vernunft und Gedanken bestehen zu dürfen. Wer kennt das nicht von sich selbst: Wird die Emotion zum Gedanken weggedrückt, wird der Gedanke immer größer. Bei Ängsten, bei Zorn und Wut ist das besonders gut nachzuvollziehen, da diese Gefühle sehr dominant sind. Wir versuchen dann, uns das nicht anmerken zu lassen. Hier sei Watzlawicks Geschichte vom Hammer sehr zur Lektüre empfohlen. (Watzlawick, 1983).

Emotionen im Business

Das Zeigen von Gefühlen im beruflichen Kontext ist aus meiner Erfahrung heraus nicht erwünscht. Zumindest nicht im vollen Umfang, und wenn, dann nur sehr verhalten. Ganz besonders, wenn es dabei um Privatangelegenheiten geht.

Mitarbeiter*Innen, Kollegen*innen, Vorgesetzte und Führungskräfte wollen verständlicherweise nicht mit Gefühlen und Emotionen konfrontiert oder belastet werden. Auf der anderen Seite möchten Mitarbeiter*Innen oft auch nicht, dass das Arbeitsumfeld um ihre Gefühlswelt Bescheid weiß. So ist es möglich, dass der Verlust eines großen Kunden im Arbeitsteam Ausdruck findet; der Verlust des Angehörigen dagegen aber unausgesprochen bleibt. Eine Hälfte unseres Seins – nämlich Körper und Gefühl – sind neben Gedanken und Verhalten oft nicht gleichberechtigt im Fokus. Wir regulieren uns runter oder werden reguliert. Das kostet viel Energie auf beiden Seiten.

Sport

Im Sport ist das anders. Hier weiß man schon seit langem, dass Menschen, die mit allen ihren Anteilen gesehen und beachtet werden, viel erfolgreicher sind und besser ihr volles Potential entwickeln. Trainer*innen und Coaches befassen sich deshalb ganzheitlich mit Sportler*innen, um deren maximale Leistungsfähigkeit auszuschöpfen. Trainer*innen kennen die Schwächen ihrer Schützlinge, aber auch ihre Stärken und Ressourcen. Bei Entwicklungs- bzw. Veränderungsprozessen ist es wichtig, alle Ebenen zu betrachten: den Körper, das Verhalten, das Denken und natürlich die dazugehörigen Gefühle und Emotionen, um beste Ergebnisse zu erzielen. Um die Sportler*in auf den Punkt topfit zu bekommen, haben Trainer*innen nicht nur Arbeitsphasen geplant, sondern auch Erholungszeiten. Sie intervenieren auf der Seite des Verstandes und Verhaltens ebenso wie auf der Seite des Gefühls und des Körpers. In Unternehmen und anderen Organisationen besteht hier noch ein Ungleichgewicht. Gefühle und Emotionen werden im Dunkeln gelassen. Die Begründung dafür lässt sich an unserem Grundbedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle festmachen. Verhalten und die dazugehörige Gedankenwelt lassen sich steuern und tendenziell voraussagen; Gefühle, Emotionen und Körperreaktionen eher nicht. Es ist aber wichtig, das gesamte Spektrum der Möglichkeiten – so wie im Sport – zu betrachten, um ein erfolgreiches, widerstandsfähiges Unternehmen zu entwickeln.

Sach- und Beziehungsebenen

Kèrè Wellensiek rät in diesem Zusammenhang dazu, Unternehmen auf zwei starke Beine zu stellen: Einerseits auf die Sach- und Strukturebene mit ihren messbaren Daten, Zahlen, und Fakten. Und andererseits auf die Beziehungs- und Kulturebene. Beide Beine sollten gleichlang sein. Ist ein Bein kürzer, so humpelt das Unternehmen und es kommt zu hohen Fehlerquoten und Krankenständen, sinkenden Erträgen, Kundenschwund bzw. zunehmender Fluktuation u.v.m. (Wellensiek, 2017).

Der Körper, Gefühle und Emotionen finden im Arbeitsprozess häufig nur bedingt Beachtung, während in anderen Kontexten, wie zum Beispiel im Sport, sich erfolgreich um eine ganzheitliche Betrachtungsweise bemüht wird.

Gesundheit und Krankheit

Beim Thema Gesundheit bzw. Krankheit ist die „Beinlänge“ ebenso ungleich: Der Blick wird einseitig auf entweder die eine oder die andere Seite ausgerichtet. Es geht entweder um Krankheit oder um Gesundheit und beide Pole stehen sich unvereinbar gegenüber. Eine gleichzeitige Integration beider Themen erscheint nicht möglich bzw. nicht nötig. Unternehmensziele hören sich dann ebenso ungleichgewichtet an:

  • Reduzierung der Krankenstände
  • Minimierung der muskulär-skelettösen Erkrankungen
  • Senkung der Personalkosten
  • usw.

Die jeweils andere Seite wird nicht in den Blick genommen, so z.B.: „Wie bekommen wir es hin, dass unsere Mitarbeiter*innen gesund bleiben können?“ Perspektivisch beschäftigen sich Menschen folglich eher mit Missständen, als mit positiven Zielen. Wie komme ich weg vom Missstand und hin zum lohnenden Ziel? Da könnte die Fragerichtung breiter werden. Beim Defizitdenken geht der Blick zurück, in die Vergangenheit. Sind Gedanken jedoch auf das Ziel fokussiert, ist der Blick nach vorn in die Zukunft ausgerichtet, und dann bewegen wir uns auf etwas zu!

Start und Ziel

Als Läuferin kann ich Ihnen versichern, dass es unglaublich viel ausmacht, ob wir uns von etwas weg oder auf etwas zu bewegen. Das Ziel im Blick zu haben, ist wesentlich motivierender, als vom Start wegzulaufen. Perfekt ist es aber erst, wenn ein Bewusstsein für beides da ist, für den Start und das Ziel. Ein Bewusstsein davon zu haben, woher ich komme und wohin ich will, schult unsere Selbstreflexionsfähigkeit unglaublich. Manager*innen und Führungskräfte sollten immer wieder dafür sensibilisiert werden, sich beiden Seiten zu öffnen. Ein ‚Hin‘ zu mehr Gesundheit wäre so eine ausgezeichnete Möglichkeit und die notwendige Ergänzung zum ‚Weg‘ von Krankheit.

Konkludierend möchte ich sagen, dass Innen- wie Außenwelt, der Einzelne wie das Kollektiv großen Einfluss auf das haben, was wir denken, wie wir fühlen, wie wir uns verhalten und wie wir miteinander umgehen.

Ich möchte unterstellen, dass bezogen auf „Gesundheit versus Krankheit“ der erste Blick aus vielen Gründen gewohnheitsmäßig auf die Krankheit fällt:

  1. Weil wir es seit Generationen nicht anders kennen
  2. Weil wir es so übernommen haben von unseren Vätern und Müttern
  3. Weil wir selbst es schon immer so gemacht haben
  4. Weil wir zwar verstandesmäßig wissen, dass die Zeiten sich geändert haben, aber Herz, Gefühl und Seele nicht recht hinterher kommen mit dem Tempo der Entwicklung
  5. Weil die eingefahrene Autobahn unserer neuronalen Verschaltungen im Hirn so ausgefahren ist, dass wir – selbst bei Sichtung einer Ausfahrt -nicht mehr rechtzeitig abbremsen können
  6. Weil unsere Umgebung so fixiert ist, dass uns das Einnehmen einer anderen Haltung zu viel Energie kosten und daher zu anstrengend werden würde
  7. Und weil wir aufgrund all dessen gar nicht mehr wahrnehmen, dass da ja auch noch etwas anderes ist.

Deutlich wird dreierlei:

  1. Es bedarf einer konkreten Motivation, um sich an die Veränderungsarbeit zu machen.
  2. Veränderung braucht Zeit und geschieht in aller Regel, ausgenommen in Krisensituationen, nur Zug um Zug bzw. Schritt für Schritt.
  3. Veränderung hat mit Achtsamkeit zu tun: mit Bewusstwerdung, aufmerksamen Hinschauen und Hinhören. Gerade auch auf die angeblichen Kleinigkeiten.

Krankheit im Fokus

In diesem Zusammenhang möchte ich den Fokus auf unser Gesundheitssystem lenken, das seine volle Entfaltung hauptsächlich in der Krankheit erfährt. Denn Unterstützung und Hilfen erfahren Menschen erst, wenn laut ICD (International Classification of Diseases) eine Diagnose gestellt ist. Einem Menschen eröffnen sich in aller Regel erst dann Unterstützungsmaßnahmen, wenn er nachgewiesener Maßen krank ist. Maßnahmen zur Gesunderhaltung werden längst noch nicht in dem Maße unterstützt und sind häufig reine Privatsache. Selbstfürsorge als vorbeugende Maßnahme ist immer noch nicht ausreichend anerkannt in unserem System. Ein krankmachender Lebensstil eines Einzelnen über Jahre hinweg ist so lange Privatsache, bis am Ende das Krankenkassensystem dafür aufkommen muss. Dabei wird laut Krankenkassenreport das meiste Geld der Kassen dafür ausgegeben, die Folgen eines jahrzehntelangen, krankmachenden Lebensstils zu kompensieren.

In individuelle Lebensstile können wir aber nicht eingreifen, ohne persönliche Freiheiten zu verletzen. In der Folge erscheint es unsinnig, in Prävention zu investieren. Unabhängig davon, wie man sich verhält, schaltet sich das Umfeld ja doch erst ein, wenn man bescheinigt krank ist. Der Blick auf die Krankheit wird somit priorisiert, obwohl es signifikante und valide wissenschaftliche Untersuchungen gibt, wie und was zur Gesunderhaltung beiträgt. (Petzold, 2013)

Betriebliche Gesundheitsförderung

Wir haben, wenn wir gesund und arbeitsfähig sind, keinen großen Bedarf, uns um unsere Gesundheit zu kümmern. Erst, wenn ein Mensch krank wird, entsteht das Bedürfnis, die Krankheit und die daraus entstandenen Folgen zu vermeiden. Unternehmen sind gut beraten, Mitarbeiter*innen dabei zu unterstützen, nach einer Krankheit wieder zu Kräften zu kommen und gesunderhaltende Prozesse zu fördern. So sind zahlreiche, gute Maßnahmen in Unternehmen mittlerweile gang und gäbe: Lärmschutz, Ergonomie, Lastenschutz und Schutzkleidung, betriebliche Gesundheitsförderung, betriebliche Wiedereingliederungsprozesse, Suchtverordnungen und vieles mehr. So entwickelte sich der Arbeitsschutz und die Arbeitssicherheit fortwährend in den letzten Jahren und Jahrzehnten weiter und ist i.d.R. in Betrieben mittlerweile ausgezeichnet verankert. Solange aber unternehmerisches Gesundheitsmanagement überwiegend darauf ausgerichtet ist, Krankheit zu vermeiden, beläuft sich das Engagement der Beschäftigten auch nur darauf, Defizite zu vermeiden. Andere Interventionen, die über das Maß der Krankheitsvermeidung hinausgehen, verlieren ihre Wirkung, weil Mitarbeiter*Innen, wenn sie sich wieder gesund fühlen, keine weiterführenden Angebote mehr wahrnehmen möchten.

New Work

Diese einseitige, häufig auf alten Gewohnheiten beruhenden Betrachtungsweise wird jedoch ganz allmählich durch neue Entwicklungen wie New Work, Digitalisierung, Globalisierung, künstliche Intelligenz u.v.m. verändert. Viel Veränderungspotential kommt insbesondere durch die sog. „Generation Z“ ins Spiel. Da kommen junge Menschen in Unternehmen und erkundigen sich schon im Vorstellungsgespräch darüber, was es an Maßnahmen für eine gute persönliche Regeneration im Unternehmen gibt. Durch so eine offene und selbstbewusste Haltung kann es zu unterschiedlichen Reaktionen auf Seiten des Betriebes kommen: Entweder Verständnis und Veränderungsbereitschaft für die Bedürfnisse der jungen Generation oder Ablehnung und Abwehr zum Erhalt der gewohnten, alten Sichtweisen. Wünschenswert wäre es, wenn sich ein ‚sowohl als auch‘ aus beiden Polen entwickelt. Auslöser für eine veränderte Sichtweise können veränderte Rahmenbedingungen sein. Z.B. dann, wenn Führungskräfte in Unternehmen wegen des Fachkräftemangels keine andere Wahl mehr haben und schlicht auf junge Nachwuchskräfte angewiesen sind. Im günstigeren Fall aber, weil es das erklärte Ziel eines Unternehmens ist, auf die Bedürfnisse und Wünsche von Mitarbeitern Rücksicht zu nehmen. Es wird ihr Schaden nicht sein, da glückliche und zufriedene Mitarbeiter in der Unternehmenskultur viel tiefer verankert sind und eine viel größere Loyalität dem Arbeitgeber gegenüber entgegenbringen.

Selbstreflexion

Hier ist die Selbstführung der Führungskraft gefordert, die in einem ersten Schritt für sich herausarbeiten muss, wie die persönliche Haltung zu diesem Thema ist und wie diese entstanden ist. So kann aus einer (!) Blickwinkeländerung bereits ein Ressourcenmanagement par exzellente werden. Was bedeutet Erfolg für Menschen persönlich, und wann ist ein Mitarbeiter*in in einem Unternehmen erfolgreich? Wann ist ein Unternehmen erfolgreich?

Gewöhnlich wird Erfolg im Wesentlichen auf wirtschaftliches Wachstum und Gewinnmaximierung zurückgeführt. Die Einflussfaktoren, die es dabei zu beachten gilt, sind jedoch weitaus komplexer und werden es immer mehr. Durch mannigfache Veränderungen (Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Klimawandel, Demographie, Generationenwechsel, Qualitätsmanagements u.v.m.) entstehen ständig neue Gedankenwelten. Vieles ist so neu und unbekannt, dass selbst langjährige Führungskräfte Mühe haben, mit diesen schnellen Änderungen unserer Zeit Schritt zu halten. Was aber bekannt und signifikant belegt ist, ist das Menschen zufriedener sind, wenn sie einen Sinn erkennen, in dem was sie tun (Antonovsky & Franke, 1997). Neben wirtschaftlichem Wachstum und Gewinnmaximierung ist somit auch die Zufriedenheit der MitarbeiterInnen ein wesentliches Merkmal für den Erfolg einer Firma. Zufriedene Menschen sind gesünder, widerstandsfähiger und arbeiten effektiver.

Psychische Belastungsgefährdungen

Seit 2014 sind Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet, neben den physischen auch die psychischen Belastungsgefährdungen zu überprüfen, sich also neben den körperlichen, auch um die psychischen Belastungen ihrer Mitarbeiter*innen zu kümmern. Diese Regelung unterstützt die komplexere Betrachtung des Menschen und rückt neben körperlichen gleichberechtigt auch die psychischen Empfindungen in den Fokus. Nun ist das Wissen, dass viele Erkrankungen psychische Ursachen haben, wahrlich nicht mehr neu. Laut Krankenkassenreport nehmen psychische Erkrankungen sogar zu. Neu ist jedoch die gesetzliche Verpflichtung für die Unternehmen, sich gleichfalls darum zu kümmern.

Ziele, die von außen, sozusagen extrinsisch, eingefordert werden, sind in der Umsetzung jedoch oft langsam und erfolgen ohne Herzblut. Daher ist hier intrinsische Motivation gefordert: Es wird sofort spürbar, ob ein Mensch oder ein Unternehmen aus sich heraus, einer Vision bzw. Überzeugung folgend, handelt oder fremdbestimmt wird.

Menschen werden erfahrungsgemäß ungehalten und ärgerlich, wenn sie bemerken, instrumentalisiert zu werden. Sie fühlen sich nicht ernst genommen, wenn ihnen vorgegaukelt wird, es ginge um ihre Gesundheit, wenn es in Wirklichkeit um nichts anderes, als die Gewinnmaximierung geht. So eine Einstellung und Haltung eines Arbeitgebers verbreitet sich in einer Belegschaft wie ein Lauffeuer. Angebote des Unternehmens für die Beschäftigten werden dann nicht wahrgenommen, und die Teilnahme an Kursen und Events ist gering. Kränkungen dieser Art schwächen ein Unternehmen stark und schmälern die Produktivität und Leistungskraft. Die Folge sind innere Kündigungen, Krankheitszeiten oder einfach nur Arbeit nach Vorschrift. Das Potential der Angestellten entfaltet dann nicht die volle Kraft.

Kundenansprüche

Neben gesetzlichen Vorgaben können es aber auch Kundenansprüche sein, die ein Unternehmen dazu bringen, Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung zu implementieren. Ziel des Unternehmens ist es dann, sich gut darzustellen, indem es ein oft sehr gutes und vielschichtiges Repertoire an Maßnahmen anbietet. Geht es dabei allerdings um Kundenzufriedenheit und nicht um die Gesundheit und die Zufriedenheit der MitarbeiterInnen des Unternehmens, werden solche Angebote ebenfalls abgelehnt. Auch hier entsteht ein Gefühl der Kränkung, da man ja nicht wirklich gemeint ist. Das Ergebnis ist das gleiche wie oben: Mitarbeiter*innen fühlen sich auch in diesem Fall instrumentalisiert und nicht ernst genommen.

Unternehmenskultur

Ich möchte hier nicht missverstanden werden: Marketing, Selbstdarstellung und Kundenorientierung sind wichtige Motive für Unternehmen. Allerdings sollte das Ziel, sich auch den Beschäftigten des Unternehmens anzunähern, dabei nicht verloren gehen, so dass am Ende nur noch Kundenwünsche und Produktoptimierung im Fokus stehen. Dieses kleine Detail, sich Themen wie der Mitarbeiterzufriedenheit ernsthaft und glaubwürdig anzunehmen, macht am Ende den Unterschied, ob das Implementieren eines betrieblichen Gesundheitsmanagements fruchtet oder nicht. Das gehört heute unbedingt zu einer gut funktionierenden Unternehmenskultur dazu. Hier hilft einem Unternehmen nur Redlichkeit und Aufrichtigkeit sich selbst und seinen Motiven gegenüber. Was treibt mich an? Welcher Sinn steckt in meinem Tun? Ein Unternehmer muss zunächst einmal nur sich selbst kritisch hinterfragen, bevor er andere Menschen führt. Hierbei ist es übrigens sehr hilfreich, sich von gut ausgebildeten Coaches unterstützen zu lassen.

Wirtschaftlicher Wettbewerb und Erfolg werden zunehmend von der Ressource Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung mitgeprägt. Auch die Corona-Krise hat gezeigt, dass der vermeintliche Kostenfaktor Gesundheit zukünftig in Unternehmen eine noch entscheidendere Rolle spielt als bisher. Gesundheit ist ein Produktionsfaktor für die Wirtschaft, eine wirtschaftliche Macht! Und zwar Gesundheit in ihrer Gesamtheit mit seelischen, sozialen, emotionalen und kognitiven Anteilen. Hier scheint es mir wichtig, daran zu erinnern, dass Gesundheit ein äußerst knappes Gut ist. (Kondratieff, 2013).

Fazit

Fazit: Erst wenn Unternehmen sich erlauben, ihren Blickwinkel und ihre Perspektiven zu weiten und es Raum für die Integration von Gefühlen und Emotionen gibt, sind sie gut gerüstet für die Zukunft und zukünftige Herausforderungen.

Erst, wenn Institutionen Gesundheit als Wert durchgängig etablieren und diese Überzeugung auch leben, und zwar in allen Bereichen – im Inneren und Äußeren, individuell und kollektiv – erst dann können wir gemeinschaftlich dahin kommen, dass Gesundheit und Gesunderhaltung genauso viel Raum, Aufmerksamkeit und Gewicht bekommt wie Krankheit.

Erst wenn alle Ebenen und Richtungen betrachtet werden, beginnend bei sich selbst, entwickelt sich Widerstandskraft und Flexibilität. Gerne unterstütze ich Sie als Coach in diesem Prozess.

In diesem Sinne: Bleiben Sie gesund!

 

Herzlichst

Ihre Birgit Weber

 

Danke

Ein herzliches Dankeschön an die Menschen, die mich in meinem Tun unterstützt haben:

Danke Barbara und Bettina fürs Korrekturlesen, Ihr habt es einfach drauf!

Danke an alle, die mir genügend Raum und Rückendeckung für diese Arbeit gegeben haben.

Danke an alle, die mir Input für diese Arbeit gegeben haben, bewusst oder unbewusst.

Danke, dass ich Schreiben kann.

Danke.

 

 

 

Literaturverzeichnis

Antonovsky, A., & Franke, A. e. (1997). Salutogenese: Zur Entmystifizierung der Gesundheit . Forum für Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis.

Bauer, J. (2013). Arbeit warum unser Glück von Ihr abhängt und wie sie uns krank macht. München: Karl Blessing Verlag.

Berg, F. (2014). Übungsbuch Resilienz. Paderborn: Jungfermann.

Göhner, W. u. (2007). Änderung des Gesundheitsverhaltens, MOVO-Gruppenprogramme für körperliche Aktivität und gesunde Ernährung. Göttingen: Hofgrefe.

Grawe, C. (2004, Seite 31 ff.). Neuropsychotherapie. Göttingen: Hofgrefe.

Hüther, G. (2009). Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht.

Kathrin, M. A. (2011). Gesund führen- sich und andere! Trainingsmanual zur psychosozialen Gesundheitsförderung im Betrieb. Norderstedt: Books on Demand GmbH .

Kondratieff, N. (2013). Die langen Wellen der Konjunktur. Buchbär.

Netfidow, L. A. (2020). Von Kondratieff.net: https://www.kondratieff.net/kondratieffzyklen abgerufen

Petzold, D. T. (2013). Gesundheit ist ansteckend: Praxisbuch Salutogenese. München: Irisiana.

Schiebel, J. (2017). Coach und Lebensberatung . Fortbildung. NRW, Minden: VHS Minden.

Tarnowski, E. (2017). Stress- und Emotionsregulation. Trainingsmanual zum Programm Stark im Stress. Beltz.

Watzlawick, P. (1983). Anleitung zum Unglücklichsein. München: Pieper.

Wellensiek, S. K. (2017). Handbuch Resilienztraining. Beltz.

 

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